Gehst du noch oder flanierst du schon?

Seit zwanzig Jahren liegt der Anteil der zu Fuß zurück gelegten Wege zwischen 26 und 28 Prozent. Damit liegt er gleich auf mit dem Autoverkehr. Was aber sagt der sogenannte „Modal Split“ aus, der jährlich im Auftrag der Wiener Linien erhoben wird?

Wer kann, der rollt. Erst mit Bobbycar und Dreirad, später mit Fahrrad, Microscooter und „Öffi“, bis dann endlich das Autofahren zur Option wird. Im Laufe eines Menschenlebens werden kaum Mühen gescheut, das Zu-Fuß-Gehen zu ersetzen. Ein Naturgesetz? Mitnichten. Die Wahl des Verkehrsmittels ist Ergebnis menschlicher Entscheidungen und wird gesteuert von Gewohnheiten und Wertvorstellungen.

Die Mobilitätsagentur beschäftigt sich daher intensiv mit der Frage, in welchen Zusammenhängen das Zu-Fuß-Gehen bei den Wienerinnen und Wienern bereits jetzt einen hohen Stellenwert hat und wo es noch Nachholbedarf gibt. Ein Blick auf die Wiener Mobilitätserhebungen zeigt beim Fußverkehr vor allem eines: Stabilität. Seit zwanzig Jahren liegt der Anteil der zu Fuß zurück gelegten Wege zwischen 26 und 28 Prozent. Damit liegt er gleich auf mit dem Autoverkehr. Was aber sagt der sogenannte „Modal Split“ aus, der jährlich im Auftrag der Wiener Linien erhoben wird?

Zu-Fuß-Gehen ist unsichtbar

Der „Modal Split“ gibt an, wie hoch der Anteil unterschiedlicher Verkehrsmittel an den Wegen der Wienerinnen und Wiener ist. Dabei zählt jeweils nur das Haupt-Verkehrsmittel eines Weges. Wer also beispielsweise seinen Arbeitsweg mit einem Fußweg zur nächsten Bushaltestelle beginnt, nach einigen Stationen in die U-Bahn umsteigt und dann nochmal ein Stück bis zum eigentlichen Ziel geht, hat laut Modal Split einen Weg mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt. Zu-Fuß-Gehen ist zwar Beginn, Ende und Bindeglied zwischen verschiedenen Verkehrsarten, bleibt in der Statistik aber weitgehend unsichtbar.
Die im Modal Split 2015 ausgewiesenen „27 Prozent“ Fußwegeanteil betreffen also nur jene Wege, die ausschließlich zu Fuß zurückgelegt wurden. Dabei beginnen und enden 98 Prozent aller Öffi-Fahrten mit einem Fußweg. Berücksichtigte man diese Wege-Etappen im Modal Split ebenfalls, so wäre der Fußwegeanteil etwa doppelt so hoch.
Eine Untersuchung im Auftrag der Stadt Wien, welche die Mobilitätszahlen über die Jahre 2010 bis 2014 im Detail auswertete, lässt konkretere Aussagen über den Fußverkehr zu. Die Bedeutung des Zu-Fuß-Gehens wird dadurch sichtbarer.

Zu-Fuß-Gehen ist urban.

Viel zu Fuß gegangen wird dort, wo dichte Siedlungsstrukturen und eine hohe Zufriedenheit mit der Wohnumgebung herrschen. Wo es in direkter Nachbarschaft zu Wohnungen viele Geschäfte, Parks und Kinderbetreuungseinrichtungen gibt, gehen die Menschen gerne zu Fuß. Während in den Innenbezirken und im Westen Wiens mehr zu Fuß gegangen wird, besteht in den Bezirken nördlich der Donau, im Südosten und in Liesing noch Nachholbedarf.
Das sind genau jene Gegenden, in denen die Stadt wächst, wo folglich mehr Wege anfallen werden. Gelingt es nicht, auch in Stadtrandlagen bessere Bedingungen für das Zu-Fuß-Gehen zu schaffen, wird sich das langfristig negativ auf die Mobilität in Wien auswirken.

Zu-Fuß-Gehen ist jung und alt.

Wer viel zu Fuß geht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder unter 14 oder über 60 Jahre alt. Sowohl Kinder, als auch Menschen im Alter haben besonders hohe Ansprüche an den Straßenraum. Sie brauchen, um selbständig unterwegs sein zu können, attraktive und sichere Wegeverbindungen. Zusätzlich müssen Eltern über die Vorteile eines aktiven und selbständigen Weges zur Schule bescheid wissen, denn sie entscheiden über die Mobilität ihrer Kinder. So werden bereits 19 Prozent der Volkschulkinder mit dem Auto in die Schule gebracht. Das bedeutet für diese Kinder weniger Gelegenheiten für Bewegung, Erfahrungen und Erlernen sicheren Verkehrsverhaltens.
Kinder und Menschen im Alter legen im Durchschnitt weniger Wege zurück, als Menschen in der Mitte des Lebens. Bei den 25 bis 45 Jährigen besteht ein hohes Potenzial, um den Anteil des Zu-Fuß-Gehen am Stadtverkehr merkbar zu steigern. Die Mobilitätsagentur richtete sich mit dem „Jahr des Zu-Fuß-Gehens“ 2015 daher bewusst an (junge) Erwachsene. Mit Erfolg: 30 Prozent der 30 bis 39-Jährigen ließ sich durch die Kampagne zum häufigeren Zu-Fuß-Gehen motivieren. Die aktuellen Verkehrszahlen bestätigen die Strategie – der Fußwegeanteil stieg von 2014 auf 2015 wieder um einen ganzen Prozentpunkt an.
Evaluierungsbericht Jahr des Zu-Fuß-Gehens 2015

Zu-Fuß-Gehen ist Versorgung und Freizeit.

Keine Frage, Zu-Fuß-Gehen spielt sich im Grätzel ab. Im Durchschnitt sind unsere täglichen Fußwege 800 Meter weit, dafür benötigen wir 10 bis 13 Minuten. Es sei denn, wir gehen in der Freizeit. Dann verbringen wir durchschnittlich 28 Minuten mit Wandern, Spazieren oder Flanieren. Freizeitwege sind der mit Abstand häufigste Wegezweck (37 Prozent aller Wege) und werden zu einem großen Teil zu Fuß zurückgelegt.
Auch zum Einkaufen wird viel zu Fuß gegangen. In der Kategorie „Versorgung“ fallen ebenfalls viele Wege an: 26 Prozent aller Wege dienen der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs. Dabei spielt der Warentransport eine entscheidende Rolle. Eine im Jahr 2013 durchgeführte Studie über die Wünsche der Zu-Fuß-Gehenden in Wien ergab, dass gute Transportlösungen für die Hälfte der Befragten eine Motivation zum Zu-Fuß-Gehen wären. In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass für den zu Fuß bewerkstelligten Transport von Waren noch keine innovativeren Produkte als Sackerl und Trolley entwickelt wurden.

Zu-Fuß-Gehen ist Wellness zwischendurch.

Die dritthäufigste Wegekategorie bildet der Weg zur Arbeit (17 Prozent). Dieser spielt für das Zu-Fuß-Gehen noch keine große Rolle. Nur neun Prozent aller Arbeitswege geschehen zu Fuß. Hier liegt also noch großes Potenzial, um das Zu-Fuß-Gehen zu steigern.
Mehr Menschen dazu zu motivieren, Arbeits- und Alltagswege zu Fuß zurück zu legen ist eine Herausforderung für Straßengestaltung, Information und Marketing. Die erste Wiener Fußwegekarte, die Wien zu Fuß App und ein neues Leitsystem entlang von Flaniermeilen sind erste Schritte in diese Richtung. Der Schlüssel liegt darin, aus Arbeits- und anderen Alltagswegen einen erholsamen Spaziergang zu machen.
Aus Gewohnheit legen wir Wege oft mit der U-Bahn oder dem Auto zurück. Doch können wir uns dabei richtig entspannen? Bei einem Spaziergang verfliegt der Stress. Der Kopf kann einmal richtig auslüften und der Herzschlag kommt zur Ruhe – das ist Wellness pur.

Den kompletten Bericht „Vertiefte Auswertung des Mobilitätsverhaltens der Wiener Bevölkerung für das zu Fuß Gehen“ (MA 18) finden Sie hier: Zu Fuß Gehen in Wien

2 Kommentare

Monika Schneider sagte am 29.02.2016, 12:00:
Da ich keinen Führerschein habe, bleibt mir eben nichts übrig, als zu Fuß zu gehen bzw. die öffentlichen Verkehrsmittel zu benützen und mich mit den Einkäufen abzuschleppen. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.
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René sagte am 17.03.2016, 14:51:
Mich würde eher die Anzahl der Wegekilometer interessieren, denn wer zu Fuß geht legt meistens eine Strecke zurück die im Normalfall ein bis zwei Kilometer nicht übersteigt.
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