„Mit meiner Methode komme ich überall hin“ – Fiona, 18 Jahre

Fiona lernt auf ihrem Weg durch Wien viele Menschen kennen. Die 18-jährige Schülerin ist von Geburt an blind. Wenn sie zu Fuß unterwegs ist, findet sie allerdings immer ans Ziel: sie fragt einfach Menschen, die sie unterwegs trifft. Wir haben mit der jungen Wienerin darüber gesprochen, wie man als nicht-sehende Person durch die Stadt geht.

Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus?

Ich besuche die Handelsakademie. Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg dorthin. Ich gehe zur nächsten Öffi-Station und dann fahre dann mit zwei Straßenbahnen. Am Nachmittag hängt es davon ab, was ich geplant habe – entweder ich fahre nach Hause oder ich unternehme etwas, ich geh z.B. zur Chorprobe. Meist bin ich mit dem öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.

Portraitfoto von Fiona

„Ich frag mich durch“

Bist du an einem typischen Tag allein unterwegs? Wie funktioniert das?

Ja, das bin ich. Es ist schon oft so, dass ich allein unterwegs bin. Um meinen Weg zu finden, frage ich andere Personen, denen ich begegne. Da spreche ich einfach die nächstbeste Person an. Es gibt viele verschiedene Wege, wie sich blinde Leute in der Stadt bewegen. Also manche gehen nur in Begleitung, manche nehmen Taxis. Es gibt auch von der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen einen Begleitdienst, aber ich mache das eher mit Leute fragen. Also ich frage mich durch.

Wenn wir uns ausmachen würden, dass wir uns am Stephansplatz treffen. Wie machst du dich auf den Weg dorthin? 

Also ich gehe aus meiner Wohnung raus und frage Leute, die helfen mir. Aber ich bin vielleicht die einzige der Blinden, die das so macht.

Wie reagieren die Leute, wenn du sie fragst?

Meistens sehr, sehr hilfsbereit.

Weisen dir die Menschen den Weg nach links oder rechts oder bringen sie sich direkt hin?

Beides.

Kannst du mir vielleicht noch einen Einblick geben, wie andere blinde Personen unterwegs sind bzw. welche anderen Möglichkeiten es noch gäbe

Es gibt – wie schon erwähnt – den Begleitdienst der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen. Es gibt aber auch ein Mobilitätstraining, bei dem blinde Leute lernen alleine auf der Straße zu gehen, das wirklich alleine zu machen, ohne Leute zu fragen.  Aber ich bin nicht so der Fan von diesen Möglichkeiten, weil es sehr beschränkt ist. Sie beschränken sich halt auf einen Weg bzw. auf ein paar Wege und diese lernen sie, aber andere Strecken gehen dann nicht. Ich kenne Leute, die nur diese spezifischen Wege kennen und dort unterwegs sind, ich bin aber eine Person, die das gerne frei macht. Und ich will überall hinkommen, und das geht so am besten für mich.

Eine Verständnisfrage zum Mobilitätstraining: Heißt das, dass innerhalb dieses Trainings dann der Weg von der Schule zur Wohnung geübt wird, und wenn es dort eine Baustelle gibt, ist es ein Problem?

Es werden auch Techniken beigebracht, wie man diesen Sachen ausweicht.

Kannst du mir erzählen, wie du Hindernissen am Gehsteig ausweichst? 

Gut, dass du die Hindernisse ansprichst. Es ist sehr störend für mich – ich glaube, da spreche ich für mehr blinde Leute -, wenn irgendwelche Sachen auf dem Gehweg liegen z.B. E-Scooter. Oder wenn die Leitsysteme versperrt sind, das ist sehr blöd. Aber die Orientierung funktioniert so: Wenn ich mit dem Stock fühle, dass da irgendwas ist, dann weiche ich aus, aber wenn Blinde z.B. schnell unterwegs sind und das nicht rechtzeitig merken, dann kann’s zu Unfällen kommen. Deswegen meine Bitte an alle, die das lesen: Versuchen Sie die Leitsysteme freizuhalten und wenn möglich auch die Gehwege, das macht es leichter!

Leitsystem in der Fußgängerzone zwischen Pius-Parsch-Platz und Schleifgasse in Floridsdorf

Leitsystem und Fußgängerinnen in der Pius-Parsch-Promenade in Floridsdorf (Foto: Christian Fürthner)

Leitsysteme sind Rillen am Boden, die bei der Orientierung helfen. Gibt es außer diesen Leitlinien noch etwas, das dir das Gehen durch die Stadt einfacher macht?

Direkt das Gehen nicht, aber ich finde es gut, dass es akustische Ampeln gibt. Wenn man darauf drückt, dann zeigt es an, wenn es rot bzw. grün ist. Wenn es rot ist, tickt es sehr langsam. Und wenn es grün, ist’s sehr schnell.

Den Weg fühlen

Gab’s einmal eine besondere Begebenheit, wenn du Menschen nach dem Weg fragst? Vielleicht hattest du einmal eine schräge Begegnung oder eine sehr nette Begegnung?

Ich habe eigentlich laufend nette Begegnungen. Es haben sich auch viele Freundschaften durch dieses Herumfragen entwickelt, sympathische Leute sind mir dabei begegnet, es wurden Nummern ausgetauscht, und es gab danach noch Treffen. Also ich bin ein Fan dieser Methode, weil man wirklich die verschiedensten Leute kennen lernt. Und eine schräge Begegnung hatte ich tatsächlich. Ich habe eine Person nach dem Weg gefragt. Und es war natürlich lieb, dass sie mir helfen wollte, aber sie hat mir den Weg geschildert, als ob es für einen Sehenden wäre. Also sie hat die Farbe eine Schildes beschrieben, das ich dann sehen werde. Da habe ich mir gedacht: Wenn sie meinen Blindenstock gesehen hat, wäre die Beschreibung von Farben nicht notwendig.

Wie muss ich etwas schildern, damit du dich gut zurecht findest? Wenn wir beispielsweise auf einem großen Platz stehen würden, würde ich einer sehenden Person sagen, dass man da hinten den Kirchturm sieht und dort rechts abbiegen muss. 

Also „da hinten sieht man den Kirchturm“ ist für mich ein bisschen blöd. Es muss etwas sein, dass man auch fühlen kann oder anfassen kann. Und nachdem etwas anzufassen ist, dann halt nach rechts. Das würde ich verstehen.

Das heißt, ich müsste dir z.B. sagen, wie viele Kreuzungen du überqueren musst, bevor du nach rechts abbiegen sollst, weil du die Kreuzungen ertasten kannst?

Ja genau, das wäre gut.

„Ich bin mit dieser Methode sehr frei“

Was ist der große Vorteil für dich, dass du dich beim Weg herumfragst?

Dass man die verschiedensten Leute kennen lernt. Dass man Freunde bekommt. Das finde ich einfach cool. Und dass man sehr frei ist mit dieser Methode, weil man kann sich überall hin bewegen, denn Menschen gibt es überall. Das heißt, ich bin nicht wie beim Mobilitätstraining auf diesen einen Weg angewiesen, sondern kann hunderttausende mit dieser Methode machen. Das finde ich halt das Tolle daran.

Wo bist du in Wien unterwegs mit dieser Methode?

Überall in ganz Wien.

Und wo bist du gerne unterwegs?

Na ja, ich bin eigentlich unterwegs, wenn ich wohin muss, wenn ich etwas mache. Es gibt aber nicht irgendwelche Orte in Wien, wo ich wirklich gerne hingehe oder bin. Ich habe mich auch schon sehr oft gewundert, warum es für mich so ist, dass es keine Orte gibt, die ich so cool finde. Ich fände es aber cool, wenn es auch ein bisschen mehr Sachen gebe für Leute, die nicht sehen können.

Es wäre toll, wenn es mehr barrierefreie Führungen gebe zu Themen, die ich jetzt interessant finde. Also auch Stadtführungen. Für mich wäre z.B. interessant, wie die Stadt in alten Zeiten war, wie es im Mittelalter war. Und wenn man dann vor Ort ist, dann kann man sich das irgendwie vorstellen. Mir gibt es ein cooles Gefühl, wenn ich wo bin und mir dann denke: Aha, früher waren die Leute hier so und so.

Hindernisse am Gehweg

Was sind denn für dich die größten Herausforderungen, wenn du in Wien unterwegs bist?

Was ich am schlimmsten finde ist, wenn Dinge herum stehen, wenn Leute am Leitsystem stehen, es dann blockieren und vielleicht dann noch ungut werden und meinen der Blinde müsse ausweichen. Das ist für mich sehr herausfordernd.

Am Beginn der Mariahilfer Straße ist ein Abstellplatz für e-Scooter markiert. Er ist durch zwei Radbügel begrenzt. An den Bügeln parken Fahrrädern, am Abstellplatz zwei e-Scooter.

Für e-Scooter werden wienweit derzeit eigene Abstellplätze errichtet.

Und umgekehrt gefragt: Wie sieht für dich der ideale Weg aus? 

Bitte Hindernisse nicht dort lassen, wo Leute vorbei gehen. Immer wieder dran denken, dass es Leute gibt, die das alles anders wahrnehmen und eben auch andere Herausforderungen haben als es die Personen vielleicht kennen und selber haben. Ich habe den Eindruck, die Menschen verstehen schon ungefähr, was es heißt blind zu sein, aber die denken halt nicht daran, dass man manche Herausforderungen nicht hat, wenn man jetzt sehen kann. So kann der Sehende sofort dem Scooter ausweichen, ein Blinder braucht dafür eben seine Zeit, um wahrzunehmen, was vor ihm ist. Und der Sehende kann das eben viel schneller.

Der Kontakt zu dir ist über die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen zustande gekommen. Bist du dort auch in der ehrenamtlich aktiv, weil du vorhin schon betont hast, was du unseren Leser:innen mitgeben willst? 

Ich mache diese Bildungsarbeit eigentlich sehr gerne, aber was ich schon sagen muss: Meiner Meinung nach ist es nicht unsere Aufgabe, Bildungsarbeit zu leisten, weil das eigentlich die Leute selber begreifen müssen. Aber ich glaube, ich kann jetzt auch für alle blinden Menschen sprechen: Wir haben nun mal diese Aufgabe und möchten diese gut machen, auch wenn es eigentlich nicht unsere Aufgabe ist. Also besser jemand fragt mich nach meiner Meinung als macht einfach irgendwas falsch und glaubt, dass es richtig sei.

2 Kommentare

Claudia sagte am 30.01.2023, 15:30:
Auch Navigations-Apps am Handy sind sehr hilfreich, um sich unbekannte Gegenden zu erarbeiten oder eine bestimmte Adresse aufzufinden. Nicht auf den Meter genau, aber auf jeden Fall als Anhaltspunkt, den genauen Eingang muss man dann eventuell erfragen.
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Eva sagte am 09.02.2023, 11:26:
Ich denke, hier wird ein sehr eingeschränktes Bild des Mobiilitätstrainings vermittelt. Das ist auch verständlich, denn nur, wer es gemacht hat, weiß genau, was dabei passiert. Die Lerninhalte sind nämlich ziemlich individuell, Manche Menschen möchten nur lernen, von zu Hause zur Arbeit oder zum Bäcker und zurück zu kommen. Andere möchten lernen, wie man die verschiedenen Techniken auch auf unbekanntes Gebiet anwendet. Das bedeutet, dass sowohl die erlernte Stocktechnik auch in fremder Umgebung Sicherheit bietet, als auch der Einsatz der restlichen Sinne auf ungekanntes Terrain übertragen werden kann. Wie weit das Mobilitätstraining geht, ist also sehr individuell. Spezielle Brillen, mit denen man Schilder lesen kann, gehören möglicherweise ebenso dazu wie die Schulung von Navigations-Systemen. Und dann darf man nicht vergessen, dass ein Blindenführhund eine größtmögliche Selbstständigkeit in der Orientierung erlaubt. Leute fragen ist aber immer eine sehr gute Hilfe. Wenn am Statrand von Wien, auf dem Land oder nachts keine Passanten da sind, braucht man aber andere Techniken.
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