Fußgängerinnen bei einem Spaziergang in Wien

Catcallsof.vie: Street Harassment ankreiden

Wer draußen unterwegs ist, ist vielleicht schon über Kreideschrift am Boden gestolpert, die ein übergriffiges Zitat und den Hashtag #STOPPTBELÄSTIGUNG enthält. Damit kreiden Aktivist:innen Belästigungen im öffentlichen Raum (Street Harassment, Catcalling) an. Auch in Wien gibt es eine Gruppe: Wir haben catcallsof.vie zum Interview eingeladen.

Wer steht hinter catcallsof.vie? Wie lange gibt es euch bereits?

Catcallsof.vie wurde 2019 im Zuge der weltweiten Chalk Back-Bewegung als queer-feministisches Kollektiv in Wien gegründet. Sowohl auf der Straße als auch auf Social Media (Facebook, Instagram) setzen wir uns für die Thematisierung und Problematisierung von Street Harassment ein. Unter Street Harassment verstehen wir Belästigungen jeglicher Art im öffentlichen Raum, wie beispielsweise sexuelle oder auch rassistische und queerfeindliche Belästigungen und Angriffe. Betroffene erfahren diese verbal, körperlich und symbolisch. Durch das Berichten und Thematisieren dieser Geschichten möchten wir uns für einen freien und sicheren öffentlichen Raum einsetzen. Wir pflegen dabei einen intersektionalen Zugang und thematisieren neben sexistischen auch andere Diskriminierungsstrukturen und wie diese miteinander in Verbindung stehen. Seit letztem Jahr organisieren wir uns als gemeinnütziger Verein mit dem Namen „Catcallsof.vie – Verein zur antisexistischen Bildungsarbeit im öffentlichen Raum“.

Wie arbeitet ihr?

Um so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf das Thema zu lenken, arbeiten wir analog und digital und nutzen so den öffentlichen Raum auf den Straßen Wiens und dazu Social Media. Während wir auf Instagram und Facebook die Geschichten von Betroffenen zunächst sammeln und später dort anonym teilen, kreiden wir auf der Straße die Belästigung im wortwörtlichen Sinne an – und zwar an dem Ort, wo sie stattgefunden hat: So bunt und auffällig wie möglich schreiben wir die Geschichten der Betroffenen nieder. Dabei handelt es sich um Geschichten über das Angestarrt-Werden, über sexualisierende, homophobe und rassistische Kommentare und auch Geschichte über körperliche Gewalt.

Ankreideschrift auf Asphalt: Stopp Belästigung. "Hey Süße! Kommst mit uns mit? Spaß haben?" @catcallsofvie

Foto: catcallsof.vie

Es ist uns wichtig, gerade durch die Arbeit auf der Straße Menschen zu erreichen, die sich nicht selbstbestimmt mit unseren Inhalten auf Social Media auseinandersetzen, sondern zufällig über unsere Ankreidungen im öffentlichen Raum stolpern und ein Bewusstsein dafür bekommen, dass an diesem Ort wo sie sich gerade befinden, eine Person gewaltvoll des Raumes verwiesen worden ist. Mittlerweile möchten wir aber auch andere Strategien nutzen, um mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu generieren, weshalb wir auch Kunstausstellungen, Lesungen und sogenannte Chalk Back-Events veranstalten.

Intersektionale Arbeit bei catcallsof.vie

Wenn ich an Catcalling oder Street Harassment denke, denke ich vor allem an Frauen, die belästigt werden. Auf eurem Account finden sich aber Beispiele aller Geschlechter. Wie sind eure Erfahrungen? Wer meldet sich bei euch?

Street Harassment können potentiell alle Menschen erleben – unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben. Das bedeutet, dass neben FLINTA*-Personen1 auch Männer potentiell von Street Harassment betroffen sein können. Allerdings decken sich in diesem Fall unsere Erfahrungen mit den offiziellen Statistiken, dass Männer im Vergleich zu Frauen und allgemein FLINTA* weniger Street Harassment erfahren und von ihnen auch mehr Street Harassment ausgeht. So erleben FLINTA*-Personen den öffentlichen Raum auch vollkommen anders als Männer: Anfeindungen, Beleidigungen und Sexualisierungen sind immer möglich, wodurch ein Klima der Unsicherheit erzeugt wird, in dem sich FLINTA* weniger raumnehmend und zögerlich bewegen. Es ist uns wichtig, an dieser Stelle intersektional zu arbeiten, und Mehrebenendiskriminierung einen Raum zu geben. Beispielsweise ein lesbisches Paar, dass sowohl sexualisierte als auch misogyne Kommentare erfährt oder eine BIPoC-Person2, die im öffentlichen Raum zugleich Rassismus und eine weitere Form der Diskriminierung erfährt, wie beispielsweise Klassismus und/oder Sexismus.

Ankreideschrift auf Asphalt: Stopp Belästigung. "Entschuldigung, darf ich deine Brüste anfassen?" @catcallsofvie

Foto: Catcallsof.vie

Ähnliche Initiativen wie catcallsof.vie gibt es in vielen Städten weltweit. Gibt es hier eine Art internationalen Austausch von Erfahrungen und Parallelen?

Catcallsof.vie ist Teil der internationalen Chalk Back-Bewegung, die 2016 ihren Ursprung in New York City fand. Seither organisieren sich immer mehr Aktivist:innen weltweit an verschiedenen Orten gemeinsam gegen Street Harassment. Innerhalb der Community werden über die Ländergrenzen hinweg Informationen und Erfahrungen geteilt und in Kampagnenarbeit, wie beispielsweise bei den 16 Tagen gegen Gewalt, umgesetzt. In Österreich gibt es bereits mehrere Gruppen, mit denen wir in Kontakt stehen und gemeinsam politische Ziele verfolgen.

Ich habe auf Social Media gesehen, dass es – nicht nur in Wien – immer wieder Chalk Back Events gibt. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Chalk Back-Events sind Veranstaltungen, die die Aktivist:innen der Gruppen nutzen, um mehr Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für das Thema Street Harassment zu erreichen. Als Catcallsof.vie veranstalten wir zweimal jährlich solche Events, an denen wir gemeinsam mit Interessierten und anderen Engagierten über mehrere Stunden hinweg einen Ort in Wien ankreiden. Passant:innen können sich informieren, ihre Geschichten und Perspektiven mit uns teilen und auch selbst ankreiden! Parallel dazu werden Reden gehalten und Musik gespielt. Unser nächstes Chalk Back-Event findet am 18. Mai statt – hierzu wird es noch mehr auf unserem Instagram-Profil zu lesen geben.

Können sich Interessierte bei euch melden und mitmachen?

Interessierte können sich jederzeit über unsere E-Mail oder unsere Social Media-Kanäle bei uns melden. Dabei ist es egal, ob eine Person nur zum Ankreiden mitkommen möchte oder auch mehr Verantwortung, beispielsweise bei der Organisation von Veranstaltungen, übernehmen möchte.

Ankreideschrift auf Asphalt: @catcallsofvie. #StoppStreetHarassment. A Man put his hand on my boob here.

Foto: Catcallsof.vie

Rechtliche Grundlagen gegen Belästigung unzureichend

Wie ist die rechtliche Lage zu Catcalling in Österreich? 

Catcalling, also verbale sexuelle Belästigung, ist in Österreich nicht illegal und sowohl Betroffenen als auch Aktivist:innen sind die Hände gebunden, wenn sie rechtlichen Beistand wünschen. Denn in Österreich stehen nur Beleidigungen sowie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz im Strafgesetzbuch. Beide Paragraphen reichen nicht aus, um Street Harassment in seiner Komplexität als Tatbestand einzubeziehen.

In eurem Instagram-Profil ist eine Petition verlinkt, die verbale Belästigung strafbar machen sollen. Es befindet sich derzeit auch ein Volksbegehren, um Catcalling strafbar zu machen, in der Unterstützungsphase. Warum braucht es aus eurer Sicht solche Initiativen und Maßnahmen?

Nach wie vor wird Street Harassment in seinen Konsequenzen und Hintergründen nicht ernst genommen und als Lappalie abgetan. Erfahrungen, Traumata und Perspektiven von Betroffenen werden systematisch relativiert und mit Aussagen wie „Das ist doch nur ein Kompliment“ sogar negiert. Betroffene müssen bisher auf eigene Faust mit Aktivismus und Engagement dafür kämpfen, mit ihrer Kritik gehört zu werden. Petitionen und Volksbegehren sind wichtig, um den öffentlichen Diskurs für dieses Thema weiter zu sensibilisieren und früher oder später eine rechtliche Konsequenz herbeizuführen.


Weitere Informationen und Links

1 Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Sie umfasst damit all jene, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität patriarchal diskriminiert werden. Der Stern erweitert die Gruppe um jene, die sich in keinem der Buchstaben wiederfinden, aber ebenso in der patriarchalen Mehrheitsgesellschaft marginalisiert werden. 
2 Die Abkürzung BIPoC ist kurz für Black, Indigenous, and People of Color. Sie umfasst damit all jene, die von Rassismen betroffen sind. 

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