„Mama, das ist doch kein Fahrrad!“

Vollmotorisierte E-Mobilität verdrängt Radfahren und Zu-Fuß-Gehen

Wer sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad durch Wien bewegt, wird es bemerkt haben: Der Elektromotor erobert die Stadt. Zumindest dort, wo es Rad- und Fußwege gibt. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein neues Gefährt auf den Markt kommt mit der stolzen Aufschrift „Ich bin ein Fahrrad“. Darunter auch Fahrzeuge, die eher einem Motorroller oder gar einem kleinen Auto gleichen. 70 bis mehrere hundert Kilo schwer, fahren sie wesentlich schneller als Fahrräder, die mit Muskelkraft angetrieben werden. Mit entsprechender Wucht sind Elektromobile dort unterwegs, wo Menschen eigentlich sorglos flanieren oder radfahren könnten.

Grafik mit Fahrzeugen, die aktuell auf dem Radweg fahren dürfen

In Österreich gilt momentan sehr vieles als „Fahrrad“, ohne von Pedalen angetrieben zu werden oder ohne über solche zu verfügen. (c) Mobilitätsagentur Wien/Büro Band

Was ist ein Fahrrad?

„Mama, das ist doch kein Fahrrad!“ hörte ich neulich im Vorbeigehen ein Kind fragen, als ein E-Moped an uns vorbeirauschte.
Tatsächlich gilt in Österreich sehr vieles als „Fahrrad“, ohne von Pedalen angetrieben zu werden oder ohne über solche zu verfügen. Das Kraftfahrgesetz, die Straßenverkehrsordnung und die Fahrrad-Verordnung erlauben eine große Bandbreite an Fahrzeugen. Solange es sich um Fahrzeuge handelt, die 25 km/h Bauartgeschwindigkeit und 250 Watt Nenndauerleistung nicht überschreiten. Das hat zur Folge, dass Elektrofahrzeuge etliche Privilegien genießen, die ein Kraftfahrzeug nicht hat:
Sie dürfen die Radinfrastruktur nutzen, auch in freigegebene Fußgänger*innenzonen einfahren, brauchen keine Zulassung, keine Versicherung und dürfen sogar am Gehsteig parken.

Wer fährt wo?

Radfahrende müssen sich also zunehmend ihre Verkehrsfläche mit motorisierten Fahrzeugen teilen, die eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit aufweisen. Eine Messung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) an Wiener Fahrradwegen im Februar 2024 hat dies bestätigt. 31 Prozent der vollmotorisierten E-Mopeds waren schneller als die erlaubten 25 km/h unterwegs, 15 Prozent sogar schneller als 29 km/h. Die höchste gemessene Geschwindigkeit lag bei 43 km/h.

Gefährdung von Zu-Fuß-Gehenden

Aber auch Zu-Fuß-Gehende sind massiv betroffen. Radfahranlagen in Wien sind zu 50% gemischte Geh- und Radwege, ein Großteil der Fußgänger*innenzonen sind für das Radfahren freigegeben. Somit sind schwere und schnelle E-Mopeds dort unterwegs, wo eigentlich Zu-Fuß-Gehende den Vorrang haben. Österreichweit ist sogar der überwiegende Teil an Radfahranlagen mit dem Fußverkehr gemischt.

Auch die Querung von Radwegen für Zu-Fuß-Gehende wird durch immer schnellere und schwerere E-Mopeds und E-Scooter zu Vabanque-Spiel.

Was ist das Problem?

Da diese Gefährte deutlich schwerer und schneller als Fahrräder und Pedelecs sind, sind Unfälle mit diesen auch ungleich gefährlicher und schwerer. Zudem macht die erhöhte Geschwindigkeit dieser Fahrzeuge zunehmend Probleme: Beim Einfädeln für andere Fahrradfahrende, für Zu-Fuß-Gehende beim Queren oder für Kinder am Radweg.

Grafik mit den unterschiedlichen Fahrzeugen und deren Gewicht, die Radwege derzeit nutzen dürfen

Das Gewicht aller Fahrzeuge im Vergleich. (c) Mobilitätsagentur Wien/Büro Band

Der Vergleich macht sicher

Ein herkömmliches Mofa mit Verbrennermotor wie das früher sehr beliebte Puch-Maxi wiegt 44 Kilogramm und hat eine Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h bei einer Motorleistung von maximal 2 PS.

Die in Wien sehr beliebten E-Mopeds Lofty 14 und 16 bringen deutlich über 60 Kilogramm auf die Waage, also sehr viel schwerer als ein herkömmliches Mofa und werden von einigen Händlern sogar mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h beworben. Ihre Motorleistung liegt bei 600 Watt.

Letzteres ist jedoch zu Recht am Radweg verboten, braucht einen Moped-Führerschein, eine Versicherung, ein Kennzeichen und hat Helmpflicht.

Stellt sich also die Frage warum E-Mopeds, die ohnehin wie Verbrenner-Roller aussehen, nur, weil sie einen Elektromotor haben, als Fahrräder in Österreich gelten?

Und somit die aktive Mobilität massiv negativ beeinträchtigen?

Wie machen das andere Länder?

Deutschland verbannt E-Mopeds konsequent von seinen Radwegen. Diese Fahrzeuge gelten als (Klein)Krafträder und brauchen Moped-Führerschein, Kennzeichen und Versicherung.

Auch E-Scooter sind in Deutschland reglementiert. Die Verleihscooter dürfen maximal 20 km/h schnell sein, um am Radweg fahren zu dürfen.

Auch die Niederlande bereiten derzeit eine neue Regulierung für die immer zahlreicheren Elektro-Gefährte vor.

Erstmals Studie und Verkehrsmessung in Österreich zu E-Mopeds, Pedelecs und Co.

Die Wiener Verkehrsstadträtin Ulli Sima hat zum ersten Mal in Österreich eine Studie bei der TU Wien beauftragt, die rechtliche und faktische Ist-Situation auf der heimischen Radinfrastruktur zu untersuchen und Empfehlungen zur Lösung zu entwickeln.

Auch maß das Kuratorium für Verkehrssicherheit erstmals die Geschwindigkeiten von Fahrrädern, Pedelecs, E-Scootern und E-Mopeds auf Wiener Fahrradwegen, wie am Radhighway in der Lassallestraße, am Währinger Gürtel und in der Hasnerstraße.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 km/h aller gemessenen Fahrzeuge fuhren ein Drittel der E-Mopeds ohne Tretkraftunterstützung über den erlaubten 25 km/h, 15 Prozent der E-Mopeds waren sogar schneller als 29 km/h unterwegs. Die gemessene Höchstgeschwindigkeit eines solchen Elektromopeds lag bei 43 km/h! Und dies bei Radwegen ohne Gefälle.

Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Überprüfbarkeit der gesetzlich vorgeschriebenen Motorhöchstleistung und der vorgeschriebenen Abriegelgeschwindigkeit bei 25 km/h. Auf den herkömmlichen Rollenprüfständen lässt sich beides nämlich gar nicht messen.

Grafik mit dem Lösungsvorschlag

Klare Regelungen durch einheitliche Höchstgrenzen. (c) Mobilitätsagentur Wien/Büro Band

Eine Lösung für Österreich?

Aufgrund der Messergebnisse und der Studie hat die Stadt Wien folgende Lösungsvorschläge an den Bund und insbesondere das Klimaministerium entwickelt:

  1. Klare rechtliche Rahmenbedingungen zur Benützung von Radwegen: Hier muss zwischen Fahrrädern, E-Kleinstfahrzeugen (z.B. E-Scootern) und Kleinkrafträdern (z.B. E-Mopeds) unterschieden und für Letztere die Benützung am Radweg untersagt werden.
  2. Eine Gewichtsbeschränkung von auf Radwegen zugelassenen Fahrzeugen von maximal 60 Kilogramm Leergewicht.
  3. Eine Beschränkung der Bauartgeschwindigkeit für E-Kleinstfahrzeuge, wenn sie für die Benützung auf Radfahranlagen vorgesehen sind von maximal 20 km/h.
  4. Regelungen vollziehen: Es müssen rasch neue Prüf- und Messverfahren entwickelt werden, um Beschränkungen auch überprüfen und gegebenenfalls ahnden zu können.

Durch diese Maßnahmen soll die Radverkehrsinfrastruktur für aktive Mobilität reserviert bleiben.

Damit alle bequem und sicher ihre Alltagswege erradeln oder zu Fuß erledigen können. Und Kinder sich nicht mehr wundern müssen, wer da alles am Radweg an ihnen vorbeirauscht.

Hintergrundbericht E-Mobilität (PDF)

10 Kommentare

Fritzi sagte am 02.05.2024, 15:49:
Das ist wirklich ein Problem, da diese E-Mopeds, genauso wie die privaten (ohne Kennzeichen) und mit Kennzeichen dahinbrausenden Scooter Fahrer in Fussgängerzonen, teilweise auch auf dem Gehsteig eine grosse Gefahr darstellen. Da gehört rigoros durchgegriffen.
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Matthias sagte am 02.05.2024, 16:45:
"Radfahranlagen in Wien sind zu 50% gemischte Geh- und Radwege, ein Großteil der Fußgänger*innenzonen sind für das Radfahren freigegeben. ... Österreichweit ist sogar der überwiegende Teil an Radfahranlagen mit dem Fußverkehr gemischt." Das ist unabhängig von den E-Mopeds das Grundproblem. Aber für reine Fußgängerzonen und Gehwege ohne Radfahrfreigabe ist ja kaum noch zu argumentieren, nachdem ja auch die "Mobilitätsagentur" aus der "Radfahragentur" hervorgegangen ist, nachdem die Fußgänger irgendwann gnadenhalber dazugenommen wurden ...
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Kathrin Figerl sagte am 03.05.2024, 09:23:
Hallo Matthias, Die Mobilitätsagentur arbeitet an der Verbesserung der Bedingungen für Radfahrende, für Zu-Fuß-Gehende, für Menschen mit Behinderungen sowie für Menschen, die Sharing-Angebote nutzen. Alle diese Gruppen haben Bedürfnisse an den öffentlichen Raum, die sich mitunter widersprechen. Aufgabe der Mobilitätsagentur ist es, konkrete, stadtverträgliche Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Aus diesem Grund befassen wir uns auch mit der Thematik der zunehmenden Motorisierung auf Geh- und Radwegen. Wenn du konkrete Verbesserungsvorschläge hast, freuen wir uns, wenn du diese mit uns teilst.
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Brigitte Aberidis sagte am 02.05.2024, 16:56:
Also, es gibt einige Radwege, die ob ihrer Schmalheit (mit Gegenverkehr!) wirklich nur für Fahrräder geeignet sind. z.B. Engerthstrasse ab Mexikoplatz Richtung Elderschplatz. Viele Geschäfte, wo Leute und Kinder des öfteren am Radweg gehen, parkende Autos, die teilweise über die Begrenzungslinie reichen, Hunde, die plötzlich zwischen den parkenden Autos auf den Radweg kommen, .... ... Die letzte Zeit auch zunehmend Gepäckzusteller mit E-mopeds. Dies ist manchmal nicht ganz ungefährlich, Fahrgeschick ist oft sehr gefragt. Auch Kinder, die mit E-Rollern - oft zu Zweit - recht schneidig entgegenkommen. Hier wäre ein beidseitiger Radweg dringend nötig.
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kathrinfigerl sagte am 03.05.2024, 09:26:
Hallo Brigitte, danke für den Hinweis. Den Wunsch nach einer besseren Trennung von Rad- und Fußverkehr in der Engerthstraße tragen wir gerne an die zuständige Fachdienststelle bzw. an den Bezirk weiter. Es gibt einen Bestand an Radwegen, die nicht mehr den heutigen Standards entsprechen. Sukzessive werden diese verbessert sowie neue Radfahranlagen errichtet. Dies kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Unser Ziel ist es, dass so viele Menschen wie möglich zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs sein können und sich dabei auch sicher fühlen. Die zunehmende Motorisierung auf Radwegen und gemischten Geh- und Radwegen steht dem entgegen.
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Susanna Scheffel sagte am 02.05.2024, 18:07:
Super, dass es eine eindeutige Regelung geben soll, nur trotz vieler Radweg ( auch paralell zu Gesteigen ) fahren viele Rad - und E-scooter Fahrer auf den Gesteigen. Bei Hinweisen von Fußgängern , leider nur freche Antworten!! Es gibt viele Gesetze , Vorschrifte uns. , nur fehlt die Kontrolle und leider sind viele Menschen rücksichtsloser geworden!!!!! Es wäre auch anzudenken alle Zebrastreifen an Kreuzungen über Radwege , die paralell zum Gehsteig laufen , bis zum Gehsteig zu ziehen , um Rücksicht dem Fußgänger gegenüber zu signalisieren.
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Kathrin Figerl sagte am 03.05.2024, 09:47:
Hallo Susanna, die Stadt Wien bemüht sich darum, gute Bedingungen für Zu-Fuß-Gehende und Radfahrende gleichermaßen zu schaffen. Schutzwege über Radstreifen werden dort errichtet, wo es einen hohen Querungsbedarf gibt oder das Aufkommen an Radfahrenden so hoch ist, dass es Zu-Fuß-Gehende behindert. Dies ist zum Beispiel beim neuen Radweg in der Praterstraße der Fall.
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Hans Ringhofer sagte am 02.05.2024, 18:32:
DANKE für diesen Bericht! Kindermund tut Wahrheit kund: "Das ist doch kein Fahrrad!" Richtig! Diese Fahrzeuge sind nicht nur schwer, sondern auch zu breit für Radwege; vorne 2 hinausragende Rückspiegel und dann der Fahrer, der seine Knie hinausspreitzt, weil er die große Essensbox zwischen den Beinen hat; Auf Radwegen mit Gegenverkehr (z.B.:vor dem Westbahnhof) kommt es immer wieder zu haarsträubenden Begegnungen; das ist doch nicht notwendig und sicher nicht im Sinne der Erfinder von RAD!wegen, oder etwa doch? So wird das nichts mit einem sinnvollen, alternativen Verkehrsfluß. Wozu gibt es Straßen? Doch, damit dort Fahrzeuge bewegt werden. Und Gehsteige? Damit dort gegangen wird. Und Radwege? ....... mit freundlichen Grüßen, Hans Ringhofer
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Edith Gerstbach sagte am 02.05.2024, 20:37:
Ja, bitte, machen Sie etwas! Vor meiner Gartentür ist ein gemischter Rad- und Fußgängerweg, der durch Baumwurzeln auf der den Häusern entfernteren Seite sehr holprig ist und deswegen fahren die Lastenräder und Ähnliche in hohem Tempo nahe der Häuserseite vorbei. Die FußgängerInnen müssen sich auf die holprige Seite retten. Wien 13, Laverangasse 40
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Kathrin Figerl sagte am 03.05.2024, 09:48:
Hallo Edith, vielen Dank für den Hinweis. Wir werden die zuständigen Fachdienststellen darüber informieren.
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